Lebenszeichen
Lange Pause. Und immer wieder Anfänge, die dann nicht zu etwas Abgeschlossenem wurden. Also versuche ich es hier noch mal mit Bücher.
Bücher gehen immer. Ich habe viel gelesen. Zu viel, um es hier alles aufzuschreiben. Daher hier erst mal der aktuellste Stapel.
Es sind wieder Bücher über das Schwimmen und das Wasser dabei gewesen.
Raynor Winn: Wilde Stille ist die Erzählung nach dem Ende des Küstenwanderweges, den sie in Der Salzpfad erzählt. Es hat mir nicht ganz so gut gefallen, aber es ist ein spannendes Buch, das mich viel zum nachdenken gebracht hat. Vor allem über die Bedeutung von Zuhause/Heimat. Vielleicht ein bisschen wenig Wasser.
Lidia Yuknavitch erzählt in The Chronology of Water autobiographisch von ihrer Kindheit hin zu einem Leben als Künstlerin. Eine miese Kindheit, eine von Drogen und Alkohol bestimmte Jugend, die dann mit gruseligen Beziehungen, Schicksalschlägen, mehr Alkohol und extrem ausufernder Selbstzerstörungswut in das Erwachsenwerden übergeht. Und immer wieder das Wasser als wichtiger Ort, der Ort ihrer besten Kindheitserinnerungen als Wettkampfschwimmerin. Dem Wasser kann ich folgen, aber die Verherrlichung von Alkohol und Drogen? Echt so gar nicht mein Ding. Wenn sie darauf Wert legt, das Kunst/künstlerische Arbeit nur damit überhaupt möglich ist, finde ich das ganz übel. Glorifizierung von Gewalt und Schmerz. Da gehe ich auch nicht mit. Trotzdem sind da Passagen in dem Buch, die mich sehr berührt haben. Noch kann ich mich nicht davon trennen. Das erstaunt mich selber sehr, denn ich mag die Person, die sie schildert nicht. Gefunden bei Curious Fox in Berlin. Der Laden lohnt sich.
Und dann das Buch, das am ehesten wirklich mit Wasser zu tun hat. Kristine Bilkau Wasserzeiten – Geschichten über das Schwimmen. Hier finde ich mich deutlich mehr wieder: ich mag es im Wasser draußen zu sein, die Umgebung direkt zu spüren und ganz im Jetzt anzukommen. Alles Dinge, die sie auch bei ihren Schwimm-Erzählungen beschreibt. Ein Buch in dem ich mich oft wiedergefunden habe. Viel ganz ruhig und megakonzentriert. Das bleibt. Gefunden im Buchladen Buntentor.
Und hier die Ecke für die Näherin. Aber nicht nur. Beide Bücher beschäftigen sich mit der Entwicklung der Bekleidungsindustrie bis hin zu dem Ultra Fast Fashion, das wir gerade erleben.
Worn – A Peoples´s History of Clothing von Sofi Thanhauser habe ich in Amsterdam bei Waterstons gekauft. Und schon auf der Busfahrt zurück nach Hause verschlungen. Absolut lesenswert. Sie unterteilt in die Kapitel Leinen, Baumwolle, Seide, Syntetik und Wolle. Sie beschreibt die Kulturgeschichte der Fasern, wie sie sich durchsetzten bzw. von anderen Fasern ersetzt wurden. Und außerdem wie das die Entwicklung der Unterdrückung der Frauen beeinflusst hat, die Entwicklung des Kolonialismus und der Sklaverei. Wie technische Optimierung zu Umweltzerstörung geführt hat, wann die Entwicklung von Spinn- und Webtechnik zu besseren und billigerer Kleidung für viele geführt hat. Und wann es einfach nur billiger wurde, aber immer schlechter. Absolut lesenswert!
Patrick Grant, Juror beim Great British Sewing Bee, hat mit Less einen ähnlichen Ansatz. Er hat dabei einen weniger globalen Ansatz sondern legt den Schwerpunkt auf die britische Textilindustrie und deren momentanen Stand mitten im System Ultra Fast Fashion. Er beschreibt sehr schön, welchen Verlust von Qualität und Wissen in der Textilindustrie es gibt. Und die Mechanismen des „Immer-mehr“, die zu viel Unzufriedenheit führen und nur sehr wenige Superreiche noch reicher machen und alle anderen ärmer. Nach dem Lesen ist die Motivation alle meine Kleidung selbst zu nähen sehr gestiegen. Das beste Motto: kaufe oder mache dir das Beste mögliche, was du dir leisten kannst und dann benutze es so lange wie möglich und vererbe es noch weiter. Die nachhaltigste Möglichkeit. Ich versuche mich daran zu halten. Ebenfalls lesenswert. Nur bei der Beschreibung der goldenen Zeiten der britischen Textilindustrie vermisse ich den Hinweis, dass dies nur durch die Ausbeutung von Sklaven auf Bauimwollfeldern, Zerschlagung der indischen Textilindustrie und vielen weiteren Maßnahmen im „Commonwealth“ möglich war. Gekauft bei Missing Link.
Und wo wir bei der Ausbeutung, dem Kapitalismus und der Unterdrückung sind: hier noch zwei sehr lesenswerte Bücher.
Zuerst habe ich Invisible Women – Exposing Data bias in a World Designed for Men von Caroline Criado Perez gelesen. Das Buch habe ich ebenfalls bei Curious Fox gesehen und es hat die Wissenschaftlerin in mir angesprochen. Und ich habe es super schnell durchgelesen. Das Medikamente oft nicht an Frauen getestet werden wusste ich. Aber wie weit dieses System von „Frauen sind nur kleine Männer, was soll da schon anders sein?“ geht habe ich nicht geahnt. Das Kapitel über Stadtentwicklung ist extrem lesenswert. Da ist es oft nur die Sicht von Auto-Besitzenden Mittelschichtmännern die morgens zur Arbeit fahren und Abends zurück, die gesehen wird. Und für die gebaut wird. Sehr, sehr lesenswert. Alles mit Literaturangeben zu den Studien. Alleine damit eine beeindruckende Lektüre. Die Beispiele reichen meist bis 2021 und ganz aktuelle Bereiche fehlen. Für mich ist das Buch aber trotzdem ein echter Meilenstein und super aktuell. Wenn plözlich das Unsichtbare sichtbar wird, wird es nie wieder unsichtbar…
Hags von Victoria Smith ist dagegen deutlich polemischer. Der Titel hat mich quer durch den Laden angesprochen. Einer der unzähligen Bücherläden, die wir im Sommer in Amsterdam besucht haben. Und auf jeden Fall ein ein guter Kauf. Sie beschreibt ziemlich gut, wie ältere Frauen eine ganz eigene Kategorie von Hass abbekommen und abgewertet werden. Sehr spannend geschrieben. Vielem stimme ich zu und werde auf jeden Fall nie wieder einen Karen-Kommentar machen. Aber ihr Blick ist für mich manchmal zu typisch britisch und hetero. Und diese 2-Fronten-aufstellung von Trans-Aktivist*innen und von den älteren Frauen, die als Terfs diffamiert werden ist mir zu einfach. Aber auf jeden Fall ein Buch zum Nachdenken und um mit den Thesen in Streit geraten und dann doch auch oft zuzustimmen. Es bleibt auch.
Diese nächste Auswahl hat nicht so ein übergreifendes Thema. Hier nur kürzere Eindrücke:
Life Without Children von Roddy Doyle. Im letzten Jahr im Urlaub im Tertulia Bookshop in Westport gekauft. Mehrere Kurzgeschichten. Einige richtig super, mit anderen bin ich nicht so richtig warm geworden. Alle handeln von der Corona-Zeit und ich fand es unglaublich, wie weit entfernt es mir schien, als ich mich an viel Details wieder erinnerte. Gut. Zum Teil sehr gut. Bleibt, aber ich würde es verleihen.
Kummer aller Art von Mariana Leky. Mein Mann hat es zum Geburtstag geschenkt bekommen und ich habe es mir zum Lesen geschnappt. Es sind Kolumnen zu verschiedenen Themen. Vorher anscheinend in einer Psychologie-Zeitschrift erschienen. Mir hat es sehr gefallen. Ich kann bei manchen Texten gar nicht so genau sagen warum. Gut.
Mythos von Stephen Fry. Wieder im Curious Fox gekauft. Das war vor allem als Vorbereitung auf den Urlaub auf Kreta gedacht. Ausserdem habe ich als Kind/Jugendliche die griechischen und römischen Sagen super gerne gelesen. Hier werden sie von Stepehn Fry erzaählt und kommentiert. Es hat mir Spaß gemacht. Hat aber auch etwas Längen, wenn immer neue unglückliche Liebesgeschichten zwischen Menschen und Göttern zu Tod, Verzweiflung und Reue führen. Aber sehr schön beschrieben. Und Stephen Fry ist ein Freund der Fußnoten. Daumen hoch. Würde ich an Interessent*innen abgeben.
Der Mann meines Bruders von Gengoroh Tangame. Bei Strips and Stories in Hamburg gekauft. Ein wunderbarer Comic/Graphic Novel/Buchladen. Lohnt einen Besuch. Ich habe meist Probleme mit dem lesen von Mangas: ich bin von der anderen Leserichtung echt verwirrt und komme immer wieder durcheinander. Aber hier habe ich mir Zeit genommen. Eine total schön erzählte Geschichte vom unerwarteten Besuch des Kanadiers Mike beim alleinerziehenden Yaichi in Tokyo. Mike war der Ehemann von Yaichis Zwillingsbruder, der vor einiger Zeit verstorben ist. Die Annäherung und das Kennenlernen ist superschön beschrieben. Und es ist der erste von 4 Bänden. Ich habe mir den 2. Band schon bestellt…
Und hier als letztes noch 2 Bücher, die ich immer wieder mal zur Hand genommen habe.
Nur nicht den Verstand verlieren – Gute Kommunikation trotz Demenz von Bernie McCarthy. Habe ich beim Bücherflohmarkt der Stadtbibliothek gefunden. Mir hat es sehr geholfen Dinge und Gespräche mit meiner Mutter besser einzuordnen. Ich habe mich damit nicht ganz so hilflos und immer irgendwie falsch gefühlt. Auch in diesem Jahr nach dem Tod meiner Mutter habe ich das Buch immer mal wieder durchgesehen. Zu lernen Geduld zu haben: mit dem Gegenüber, aber auch mit sich selbst.
Den Ratgeber Demenz habe ich mir bei beim Bundeministerium für Gesundheit umsonst bestellt. Sehr, sehr hilfreich. Hat mir auch geholfen mir den Druck zu nehmen, alles richtig machen zu wollen. Hätte ich früher Lesen sollen.